Kaffeekapseln & Pappbecher: Die dunklen Seiten des schnellen Kaffee-Genusses

Kaffeekapseln & Pappbecher

Die dunklen Seiten des schnellen Kaffee-Genusses

kaffeekapseln-papbecherWie jedes Genussmittel, hat auch die Produktion von Kaffee schon immer Energie und Wasser gekostet – zu viel, wie ebenfalls schon ewig Umweltschützer argumentieren. So fließen in jede Tasse Kaffee durchschnittlich 40 Liter des sogenannten virtuellen oder auch latenten Wassers. Unter virtuellem Wasser wird dabei die für den Verbraucher unsichtbare Wassermenge verstanden, die insgesamt bei der Herstellung eines Produktes aufgewandt wird – in diesem Fall vom ersten Tropfen der Kaffeestrauch-Bewässerung bis zur Zubereitung in der heimischen Cafétiere.

Davon abgesehen allerdings schien der Kaffee seit Erfindung geradezu vorbildlich umweltschonend zu sein: Von der Bohne zum Pulver, in Jutesäcken, dann in Papier, schließlich in kompostierbaren Kaffeefiltern und schlussendlich in Keramiktassen landend – und, mit etwas Glück, danach noch auf dem Kompost als Humus wieder auferstehend.

Das späte 20. und nun das 21. Jahrhundert haben Schluss gemacht mit diesem Kreislauf – mit einem dreifachen Hammerschlag: zunächst durch die immer komplexer aufgebauten Aromaschutzverpackungen, dann den „single-serve coffee containern”, auf deutsch einzeln portionierbaren Kaffeebehältern und schließlich mit dem Coffee-to-go, dem Kaffee zum unterwegs trinken.

Evolution-to-go

Sieht so wirklich Evolution aus?

Im Zuge dieser Verneigungen vor der Bequemlichkeit und Schnelligkeit, immer währender Mobilität und jederzeit abrufbarem Genuss, ist neben dem Kaffeeverbrauch per se allerdings noch etwas anderes gewachsen: ein kaum noch aufzuhaltender Müllberg.

To-go oder to-throw?

Ich weiß: Ich sollte meinen Kaffee in Ruhe genießen, mich hinsetzen, die Welt vorbeiflanieren und die dampfende Tasse zu einer Insel im Alltag werden lassen. Alles wahr, aber dennoch: Ich liebe meinen Kaffee im Gehen…genauso wie stündlich mindestens 320.000 andere Deutsche, wie es scheint. Das sagt jedenfalls die Deutsche Umwelthilfe (DUH).

Die den wandernden Konsum möglich machenden Einwegbecher haben ein kurzes Leben als aktives Produkt: Nach durchschnittlich fünfzehn Minuten befördert der Kaffeetrinker sie (hoffentlich) in den nächsten Müll, viele werden auch einfach nach dem letzten Schluck abgestellt.

Bio-Becher

Hauptsache Bio

Auf diese Weise fallen alleine in Deutschland jährlich 2 Milliarden Becher an Müll an, die vor dem Cofee-to-go-Hype schlicht nicht existierten. Nicht nur müssen sie energieaufwendig entsorgt werden: Auch ihre Produktion verschlingt Tonnen an Holz und Kunststoff (für die nicht gerade gesundheitsfreundliche Innenbeschichtung) sowie Milliarden Liter an Wasser und massenhaft Energie – mit der für die Becherproduktion und Entsorgung notwendigem Strom könnte jährlich eine Kleinstadt versorgt werden.

Das DHU fordert die Regierung zur Einführung einer Becherabgabe auf, die etwa 20 Cent kosten soll. Bis dahin wird allerdings noch viel Kaffee unsere Kehlen herunterfließen. Man sieht es am oft diskutierten Verbot von Plastiktüten, dass immer wieder nur auf eine Selbstverpflichtung der Branchen hinausläuft.

Eine viel schnellere und für jeden umsetzbare Maßnahme sind mehrfach nutzbare, eigene Becher, die man sich vom Lieblingsbarrista einfach auffüllen lässt. Das bedarf anfangs etwas Gewöhnung und oft auch Überzeugungsarbeit, wie der Selbsttest bewies. Viele Mitarbeiter vor allem in Bäckereien oder kleineren Kaffeeausschänken glauben immer noch, es wäre ihnen verboten, Gefäße von außer Haus an den eigenen Maschinen mit Kaffee zu befüllen. Dem ist allerdings nicht so; das muss oft mit Engelszungen kommuniziert werden. Viele Shops füllen sogar erst in einem Pappbecher ab, um das Getränk dann in den hingereichten Thermobecher umzuschütten – das gilt es natürlich zu verhindern.

Ersticken wir in leeren Kaffeekapseln?

Kapseln_Müll

Bunt, aber in vieler Hinsicht brandgefährlich

Allein in Deutschland produzieren wir um die 12.000 Tonnen (also zwölf Millionen Kilogramm) Kaffeekapsel-Müll im Jahr – das entspricht 2,5 Milliarden verbrauchter Kapseln, die hintereinander zweimal die Erde umrunden könnten. Während Nestlé in anderen Ländern wie der Schweiz Rücknahmesysteme anbietet, beruft das Unternehmen sich in Deutschland auf die staatlichen Recyclingsysteme – sprich: auf den gelben Sack oder die gelbe Tonne beziehungsweise auf „Wertstoffsammelstellen in Fußnähe“. Nestlé verspricht auf seiner deutschen Homepage, dass die Aluminiumkapseln nach Pressung in Blöcke und „einer thermischen Vorbehandlung“ zur „Herstellung neuer, hochwertiger Produkte eingesetzt werden“ – das alles auf Kosten der kommunalen Steuergelder übrigens.

Tschibo, dessen Kapseln aus Kunststoffkörpern mit Aludeckel bestehen, wird auf seiner Internetpräsenz noch schwammiger: „An einer nachhaltigen Lösung für die Cafissimo Aromakapseln arbeiten wir…wir sind optimistisch, auch hier in absehbarer Zeit Fortschritte zu erzielen“ schreibt der deutsche Kaffeeproduzent und gibt dem Konsumenten im Zuge dieses völlig unbelegten Optimismus gleich noch den digitalen Ablassbrief mit auf den Weg:
„So leisten auch Sie mit jeder Tasse aus Ihrer Cafissimo Maschine einen Beitrag zum Schutz der Natur“ ermutigt die Webseite zum weiteren Konsum mit gutem Gewissen.

Tatsächlich ist erst die Spitze des Müllbergs erreicht: Alle Kaffeekapselvertreiber sehen gelassen zweistelligen Wachstumsraten jährlich entgegen – ein Ende ist nicht in Sicht. Denn längst stürmen die Billiganbieter zusätzlich den Markt. Die Aldi-Kapseln sind dabei etwa 50% billiger als die Luxus-Marke Nespresso.

Keiner der Kapselproduzenten veröffentlicht Zahlen über die Anzahl der jährlich verkauften Exemplare – aber Branchenkenner schätzen übereinstimmend, dass alleine Nestlé 2014 global mindestens acht Milliarden Kaffeekapseln in Umlauf gebracht hat. Dabei ist das Problem nicht nur das zurückbleibende Aluminium, sondern auch der Aufwand zu seiner Veredelung bis hin zur Kapsel.

Aluminiumproduktion

Sieht schon weniger lecker aus: Aluminiumproduktion

Denn Aluminiumproduktion ist extrem energieaufwendig und bläst als Nebeneffekt massig CO2 in die Atmosphäre. Um aus Bauxit ein Kilogramm Aluminium zu gewinnen, werden etwa 14 Kilowattstunden elektrische Energie benötigt, die wiederum etwa 8,4 Kilogramm Kohlendioxid freisetzen – und das alles, um das Zeitfenster der Zubereitung eines Kaffees zu verkürzen und das Aroma eines frisch extrahierten Espresso zu simulieren (was vor allem im Falle einiger Nespresso-Sorten zugegeben erstaunlich authentisch gelingt).

Würden die Kapseln tatsächlich zu mehr als 70% recycelt, wie Nestlé gerne behauptet, dann wäre dies immerhin umwelttechnisch gesehen ein Fortschritt. Denn die Wiederaufbereitung von Aluminium nimmt nur etwa 5% des ursprünglichen Ressourcenaufwandes in Anspruch. Doch ob die Unternehmenseinschätzung der Realität entspricht, steht in den Sternen – belastbare Nachweise gibt es nicht. Alles was das Unternehmen sagt, ist: Drei Viertel aller Kapseln könnten gesammelt und wiederverwertet werden. Wie viele Konsumenten dies tatsächlich tun? Das weiß niemand.

Auch die Versuche anderer Hersteller, den Müllberg zu reduzieren, sind wenig überzeugend. Die Tschibo-Kunststoffkapseln haben immer noch einen Aluminiumdeckel – und sind somit noch schwieriger wiederverwertbar, da Materialmixe wesentlich komplexer zu recyceln sind als sortenreine Verpackungen.

Gibt es überhaupt Portionskaffee mit gutem Gewissen?

Ausgerechnet der Ex-Chef von Nespresso, der Schweizer Jean-Paul Gaillard, hat den Spagat hin zur nachhaltigen Kaffeekapsel versucht. In den 1990ern machte Marketingprofi Gaillard die Kapsel zum Kultobjekt. Dann stieg er bei Nespresso aus und entwickelte eine Kapsel, die in die Nespressomaschinen passen, preiswerter und außerdem biologisch abbaubar sein sollte.

All das hat er erreicht: Die Kaffeekapseln seines Unternehmens Ethical Coffee Company (ECC) sind etwa 35% günstiger und aus Pflanzenfasern sowie Maisstärke gefertigt. Bisher hat Gaillard die prompt folgenden Rechtsstreitigkeiten mit Nestlé nach eigenen Angaben mit etwa fünf Millionen Euro Anwaltskosten bezahlt. Dabei schreckt er auch vor härteren Bandagen nicht zurück, indem er sein Wissen um den Ex-Arbeitgeber nutzt, um ihn wie etwa in Frankreich bei der Staatsanwaltschaft wegen Industriespionage anzuzeigen.

Die EEC-Kapseln laufen an sich gut: 2014 hat das Unternehmen 350 Millionen Kapseln verkauft, hauptsächlich in Frankreich, Belgien, Deutschland und Österreich. Nur in der Schweiz hat das mächtige Unternehmen Nestlé ein Verkaufsverbot bewirkt. Doch hält EEC, was sie versprechen: Guten Kaffee in Kapseln „… aus der Natur, zurück in die Natur“?

EEC

EEC-Webseite verspricht biologische Abbaubarkeit

Leider ist hier Öko-Kosmetik am Werk. Die Firma schreibt auf ihrer Webseite: „Die Kapseln…bauen sich im industriellen Kompost innerhalb von sechs Monaten nach der Verwendung ab (Norm EN 13432). Nach dem Gebrauch können Sie die biologisch abbaubare Kapsel ganz einfach mit dem Hausmüll entsorgen.“ Allerdings, und das wird in der Werbung nicht erwähnt: Die Abdeckung jeder Kapsel hat laut Stiftung Warentest doch eine eingebettete Aluminiumschicht. Sie muss also gesondert entsorgt werden. Die Erfahrung hat außerdem gezeigt, dass industrielle Kompostieranlagen die Kapseln als Störfaktor identifizieren und aussortieren. Dann landen sie doch im Restmüll und werden verbrannt.

Über Geschmack lässt sich bekanntlich streiten – deshalb an dieser Stelle nicht mehr dazu. Tatsache ist aber, dass die vermeintlichen Bio-Kapseln während des Wasserdurchlaufs aufquellen und dann festklemmen könen – ein Problem, auf das sogar EEC selbst hinweist. Dann sollten sie so schnell wie möglich mit einem Kaffeelöffel befreit werden, denn das Problem nimmt mit der Zeit noch zu.

Update

Im Februar 2018 ist der Gründer Jean-Paul Gaillard als Chef und Präsident der ECC zurückgetreten. Gaillard will seine Zeit und Energie in ein neues Kaffeeprojekt stecken. Wahrscheinlich haben den 60 Jährigen auch die vielen und unendlichen Rechtsstreitigkeiten mit Nestle dazu geführt einen neuen Weg einzuschlagen. Sicher ist das die die inzwischen über 400 verschiedenen Kaffeekapselkopien den Gewinn drastisch gesenkt haben und das Geschäft nur noch lukrativ ist, wenn sehr hohe Stückzahlen verkauft werden. Laut Reuters wird der Nespresso kompatible Kapselmarkt inzwischen von über 200 Kapselherstellern bedient. Darunter auch die Kaffeehauskette Starbucks.

Die echt clevere Alternative: Edelkstahlkapseln zum Selbstbefüllen

Eine wirklich innovative Idee hatte ein Schweizert Start-up mit Namen My CoffeeStar. Es stellt wieder befüllbare Kapseln aus Edelstahl her, die Nespresso-Automaten in Siebträgermaschinen verwandeln. Diese wieder befüllbaren Kapseln halten laut Hersteller ein Leben lang, können mit einem eigenen Kaffee oder Espresso nach Wahl befüllt werden (ein entsprechender Löffel liegt bei), enthalten keine Giftstoffe und helfen trotz des höheren Anschaffungspreises ordentlich Geld im Jahr zu sparen. Laut Unternehmen sind das jährlich sogar ganze 565 Euro bei zwei Personen und zwei getrunkenen Kaffee am Tag – im Vergleich zum tatsächlich horrenden teuren Nestlé Konkurrenzprodukt.

mycoffeestarNatürlich ist das selber Einfüllen und anschließende wieder Auswaschen zeitaufwendiger als das ruck-zuck Kapsel austauschen. Wer sich aber die Umweltschonung vor Augen hält, für den sollte sich das lohnen. Wichtig ist auch: Man muss den richtigen Kaffee mit dem perfekten Mahlgrad erwischen, damit die potenzielle Aromaqualität voll zur Geltung kommt. Eine tolle Crema ist nur mit frischgemahlenem Espresso garantiert drin.

Weiterführende Links
Nespresso
Ethical coffee company
MyCoffeestar
Deutsche Umwelt