Kaffee in den USA

Amerikaner lieben schlechten Kaffee

Amerikaner lieben schlechten Kaffee

Schlechter Kaffee für Amerikaner

Amerikaner trinken lieber bequemen und preiswerten als guten Kaffee

An einem Sommermorgen 1993, nach einer durchfeierten Nacht in San Fransisco, hielt ich mich morgens am Küchentisch einer Freundin fest und fragte mich, wie ich den Tag überleben sollte. Ich hätte mein Erstgeborenenrecht für eine Tasse Kaffee vergeben, aber das schien gar nicht nötig – denn obwohl meine Freundin im selben beklagenswerten Zustand war, bot sie an, uns zwei zu machen. Ich nickte stumm. Was dann geschah, habe ich bis heute nicht verdaut.

Sie (die gerade ihre Doktorarbeit über Hannah Arendt schrieb) nahm ein Glas Nescafé aus dem Oberschrank, packte zwei gehäufte Teelöffel in eine Tasse (schon das überleichte Hüpfgeräusch gefriergetrockneten Kaffees auf Keramik lässt mich zusammenzucken; Herrschaftszeiten, Kaffee muss prasseln oder gluckern), drehte den Wasserhahn auf, wartete, bis das Wasser von kalt auf so-gut-wie-heiß wechselte und hielt die Tasse drunter. Dann stellte sie die braun gefärbte Brühe vor mir ab und fragte „Zucker?“. Sie hält mich bis heute für einen Snob, weil ich mich dem kulinarischen Vergnügen wortlos verweigert habe.

Kaffeekultur? Thank you, but no thank you.

Seitdem, so dachte ich, hat die amerikanische Kaffeekultur einen Evolutionssprung gemacht. Es ist unmöglich, sich im kleinsten Kaff an den Zipfeln von Alaska umzudrehen, ohne dabei in ein Starbucks hineinzufallen. Eine neue Studie des international tätigen Marktforschungsunternehmen Euromonitor behauptet das Gegenteil: Die Amerikaner trinken immer noch gerne schlechten Kaffee. Daran scheint auch die Tatsache nicht geändert zu haben, dass High-End Kaffeeröstereien die Straßen der Großstädte säumen und Hipster-Magazine die Wiederkehr des von Hand zelebrierten Filterkaffeezubereitens feiern.

Diese kleine Kaffee-Elite stellt nämlich lediglich die Spitze des koffeinbedürftigen Eisbergs: Nur mehr 8% der Amerikaner kaufen momentan überhaupt ganze Bohnen. Die Masse Mensch trinkt nach wie vor vorgemahlenen, industriell aufbereiteten Kaffee. Ihr sind ganz andere Dinge wichtig, als von ausgebildeten Baristas frisch gemahlene, handgebraute Arabica-Spezialitäten in ihre Tassen fließen zu lassen. Ihnen geht es statt um Qualität erstens um einen möglichst günstigen Preis und zweitens um „Convenience“, also eine möglichst bequeme Handhabung und schnelle Verfügbarkeit.

Kaffeekapseln sind der neue amerikanische Traum

Diesen Wunsch nach „Schnell, Schnell und bloß keine Arbeit“ verkörpern wie wenig andere Produkte auf dem ganzen Lebensmittelmarkt kleine Coffee-Pods, jene inzwischen schon länger auch bei uns bekannten Aluminiumschälchen, die genau eine Tassenportion enthalten und nur in eigens für sie gefertigte Brühapparate passen. Seit 2005 hat sich die Anzahl der verkauften Kaffeekapseln in den USA um (festhalten) 138.324 Prozent vervielfältigt und steigt weiter mit einer Rate von 30 Prozent jährlich, so Euromonitor.

Euromonitor hat soeben eine 30-seitige Studie mit dem Titel „Coffee in the USA“ herausgebracht. Ihr zufolge haben Kapselmaschinen seit 2013 herkömmliche Kaffeemaschinen (im englischen „drip coffee machines“ genannt – und tatsächlich, wie kann ein Morgen friedlicher beginnen, als beim Zusehen des Tropfen für Tropfen durch den Filter in die Kanne fließenden Kaffees) im Umsatz überholt. Im Jahr 2014 betrug der amerika-weite, mit Kaffeekapseln erzielte Umsatz 4 Milliarden Dollar. Im Zuge dessen wurde der Hersteller Keurig Green Mountain zur bestverkaufenden Kaffeemarke Amerikas; nicht etwa aufgrund der überragenden Qualität der Bohnen, sondern des marktdurchdringenden Angebotes an preiswerten Kapselmaschinen und deren Futterstoff.

Die Kaffee-Marktführer: Ein Hardwarehersteller, eine Fast-Food-Kette, ein Discounter

Keurig Green Coffee kontrolliert inzwischen mehr als 20% des amerikanischen Marktes und finanziert viele kleinere Marken wie Gevalia mit, die ebenfalls Kapseln für die Keurig-Apparate anbieten, statt eigene Hardware herzustellen. Einen ähnlich großen Marktanteil haben die nachfolgenden Wettbewerber, Folgers und Starbucks zusammen genommen. Auch deren Produkte zeichnen sich durch Bequemlichkeit einerseits –der „To-Go“-Kultur von Starbucks-Filialen– und kompetitiven Preisen -Folgers verkauft gemahlenen Kaffee in preiswerten XXL-Containern- andererseits aus.

Übrigens: 2014 wurden auf den neuen Starbucks „Kreditkarten“, ein zunehmend beliebteres Geschenk, weltweit 4 Milliarden Dollar aufgeladen. Unfassbare 10% aller Amerikaner sollen laut glaubwürdiger, repräsentativer Umfrage eine solche Prepaid-Karte als Weihnachtsgeschenk erhalten haben. Zum Ende des Jahres waren 650 Millionen Dollar davon noch nicht in Anspruch genommen worden, gab das Unternehmen Auskunft.

Qualität wird zum schönen Mythos

Der viertplatzierte Konkurrent, Maxwell House, wirbt sogar mit der durchschnittlichen Qualität seines Produktes. In seinem aktuellen Video betont der Hersteller, dass es ihm darum ginge, „guten“ Kaffee zu machen – im Gegensatz zu exzellentem oder episch herausragendem.

Howard Telford, einer der an der Euromonitor-Studie beteiligten Marktanalysten, deutet zwar auf eine ebenfalls wachsende, aber immer noch kleine Gruppe an Liebhabern, die sich für exzellenten Kaffee in ganzen Bohnen sowie manuelle Brühverfahren wirklich interessieren. Deren Präsenz jedoch vergleicht Telford mit der Psychologie des Bier-Marktes: Während das Internet von kleinen, unabhängigen Qualitätsbrauereien schwärmt, wird der tatsächliche Umsatz weiterhin zuverlässig durch industriell hergestelltes Massenbier gesichert.

Weiterführende Links
Coffee in the US
Keurig

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